Aufklärung (1730-1784)
Christian Fürchtegott Gellert: Das Pferd und die Bremse
Ein Gaul, der Schmuck von weissen Pferden
Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt,
Und, wie ein Mensch, stolz in Geberden,
Trug seinen Herrn durch einen Wald;
Als mitten in dem stolzen Gange
Ihm eine Brems entgegen zog,
Und durstig auf die nasse Stange
An seinem blanken Zaume flog.
Sie leckte von dem weissen Schaume,
Der heeftig am Gebiße floß;
Geschmeiße! sprach das wilde Roß,
Wo bleibt die Ehrfurcht gegen mich?
Wie? darfst wohl ein Pferd erbittern?
Ich schüttle nur; so mußt du zittern.
Es schüttelte; die Bremse wich.
Allein sie suchte sich zu rächen;
Sie flog ihm nach, um ihn zu stechen,
Und stach den Schimmel in das Maul;
Das Pferd erschrack, und blieb vor Schrecken
In Wurzeln mit dem Eisen stecken,
Und brach ein Bein; Hier lag der stolze Gaul.
Auf sich den Haß der niedern laden,
Dieß stürzet oft den größten Mann.
Wer dir, als Freund nich nützen kann,
Kann allemal, als Feind, dir schaden.
Thema des Gedichtes: Hochmut kommt vor dem Fall
Inhalt der einzelnen Strophen:
1) Ein stolzes Pferd trägt seinen Reiter durch einen Wald, als eine Bremse von des Pferdes Schaum trinkt. Das Pferd verscheucht die Bremse.
2) Aus Rache sticht die Bremse das Pferd ins Maul, sodass dieses vor Schreck nicht aufpasst, mit dem Huf stecken bleibt und sich ein Bein bricht.
3) Fazit: Wer mir kein Freund ist, kann als Feind mir schaden.
Äußere Form:
3 Strophen:
1) einlinige Handlung im Sinne des Pferdes
2) Beginn der Gegenaktion der Bremse, die das Pferd zu Fall bringt
3) angehängte Lehre (= Epimythion)
1) + 2) = Fabelerzählung (= Narratio)
a) Reimschema:
Vers 1-8: Kreuzreim
Vers 9-16: Umarmender Reim
Vers 17-22: Schweifreim
Vers 23-26:Umarmender Reim
b) Metrisches Schema: 4 - hebiger Jambus (außer Vers 22: 5 – hebiger Jambus)
c) Versschlüsse: dem Reim entsprechend:
Vers 1-8: abwechselnd weibliche und männliche Kadenzen
Vers 9-16: "Umarmende Kadenzen": wmmw, mwwm
Vers 17-22: Je zwei weibliche Kadenzen, gefolgt von einer männlichen (wwmwwm)
Vers 23-26:„Umarmende“ Kadenzen: wmmw
Sprache / Stil:
a) Wortwahl:mittlere Ebene wird eingehalten – kultiviert, anmutig, ausgewogen
b) Satzbau: überwiegend parataktisch
c) 3 weitere Stilmittel:
Chiasmus: Vers 2: „Von Schenkeln leicht, schön von Gestalt“
Antithese: Vers 23f.: „niedern“ + „größten“; Vers 25f.: „Freund“ + „Feind“
Oxymoron: Vers 22: „stolzer Gaul“
Epochentypische Merkmale:
a) Formal:Fabel -> Erziehungsanspruch der Aufklärer verwirklicht
b) Inhaltlich / Thematisch:
- Erdichtete besondere Begebenheit im Tierreich wird allgemein auf Menschliches
beziehbar gemacht.
- Idee der Toleranz
- Sprache als Spiegel des Verstandes
- Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten
Unmündigkeit
Weitere (hier nicht vorhandene) Epochenmerkmale:
- Sapere aude! (Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!)
- Orientierung am und im Denken (Ich denke also bin ich)
- Forderung nach aktivem Handeln und fortgesetzten Streben nach Erkenntnis
- Ideal der Humanität (Grund- und Menschenrechte)
- Idee der Vernunftreligion
- Kritik am monarchischen Gottesgnadentum („L´état c´est moi“), sowie am Absolutismus generell
Weitere Autoren und Theoretiker der Aufklärung:
Gotthold Ephraim Lessing (z.B. Minna von Barnhlem; Emilia Galotti; Nathan der Weise), Johann Christoph Gottsched, Immanuel Kant ( z.B. Was ist Aufklärung?), Friedrich Gottlieb Kloppstock, Gottfried August Bürger, Voltaire, Denis Diderot
Bevorzugte Gattungen der Aufklärung: Drama und Fabel
Merkmale des Dramas: Orientierung am französischen Drama (Gottsched) und am englischen Drama (Lessing)
Merkmale der Fabel: Kleine Erzählung, meistens eine Tiergeschichte + anschließender Kommentar, der die eigentliche Moral zum Ausdruck bringt.
(Lamm = Einfältigkeit; Fuchs = List und Schlauheit; Rabe = Eitelkeit und Dummheit; Maus = Schnelligkeit und Gewitztheit; Schlange = Hinterhältigkeit)